Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 14.10.2011, Aktenzeichen 82 O 15/08, die Unwirksamkeit einer englischen Restschuldbefreiung bei missbräuchlicher Verlegung des Wohnsitzes bestätigt.
Hier ein Auszug aus dem Urteil vom 14.10.2011:
Die von dem Beklagten im Rahmen des durchgeführten Insolvenzverfahrens in England erlangte Restschuldbefreiung zum 18.06.2009 führt wegen eines Verstoßes gegen den ordre public nicht zur Erledigung der Klageforderung.
Der BGH hat zutreffend entschieden, dass im Grundsatz anerkannt werden muss, dass sich ein ausländisches Insolvenzgericht für örtlich zuständig erklärt hat. Ein etwaiger Missbrauch seitens des Insolvenzschuldners sei lediglich als möglicher Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung (ordre public) zu prüfen. Nach Art. 26 EuInsVO kann sich jeder Mitgliedstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, dass offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist. Nach der Auffassung des BGH ist die deutsche öffentliche Ordnung verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts unter Beachtung inländischer Rechtsvorstellungen untragbar erscheint. Das kommt in Betracht, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz rechtsmissbräuchlich ins Ausland verlegt hat, um sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen, um dabei Vorteile zu erzielen, die ihm nicht zustehen (BGH, Beschluss vom 18.09.2001 – IX ZB 51/00, NJW 2002, 960, 961).
Im Einklang damit hat der EuGH ausgeführt, dass aus Art. 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 EuInsVO hervorgehe, dass die Entscheidung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat in allen übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen sei, da davon ausgegangen werde, dass der Mitgliedstaat, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, seine Zuständigkeit sorgfältig prüft, also untersucht, ob der Schuldner den Mittelpunkt seiner Interessen in diesem Mitgliedstaat hat. Auch der EuGH verlangt, dass die Gründe für eine Nichtanerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden. Allerdings erkennt der EuGH ausdrücklich ein rechtsmissbräuchliches Verhalten auf der Grundlage von Art. 26 EuInsVO als Verweigerungsgrund an (EuGH, 21.01.2010 – C4 144/07, NZG 2001,156, 157).
Bei einem simulierten Wohnsitz, wenn also die Eröffnungsentscheidung des Insolvenzgerichts auf bewusst wahrheitswidrigen Angaben des Antragstellers beruht, ist ein Verstoß gegen den ordre public anzunehmen. Denn es entspricht sowohl den Interessen der Gerichte des Zweitstaates wie der Gerichte des Eröffnungsstaates, dass die täuschenden Personen auch in der Zeit, bis die Eröffnungsentscheidung durch das Eröffnungsgericht wieder aufgehoben wird, keine ungerechtfertigten Vorteile aus ihrem Verhalten ziehen können und dadurch anderen, von dem Insolvenzverfahren Betroffenen Nachteile zufügen können (Kindler in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2010, VO (EG) 1346/2000 Art. 26 Ordre Public Rn. 12 mwN.).
Es kann offen bleiben, ob die von dem Beklagten vorgelegte Restschuldbefreiung zum 18.06.2009 von der zuständigen englischen Insolvenzverwalterin ausgestellt und damit echt ist. Zwar hat der Beklagte die vom Gericht verlangte Apostille nicht vorgelegt, sondern eine erneute Ausfertigung im Original vorgelegt, die jedoch in einigen Punkten von der ursprünglichen Restschuldbefreiung abweicht. Dennoch geht die Kammer aufgrund der amtlichen Auskunft der englischen Insolvenzverwalterin davon aus, dass dem Beklagten "automatisch" einer Restschuldbefreiung mit Wirkung zum 18.06.2009 ausgestellt worden ist.
Für die Kammer ist allerdings erwiesen, dass der Beklagte lediglich formal seinen Wohnsitz nach London/Vereinigtes Königreich verlegt hat, ohne dort tatsächlich wohnhaft zu sein bzw. dort seinen Lebensmittelpunkt zu haben. Darlegungsbelastet ist insofern die Gläubigerin (BGH, Beschluss vom 18.9.2001 – IX ZB 51/00, NJW 2002, 960, 961), hier also die Klägerin.
Vorliegend hat die Klägerin hinreichend dargelegt und bewiesen, dass der Beklagte seinen Wohnsitz nur zum Schein nach Großbritannien verlegt hat. Die von dem Beklagten vorgebrachten Gründe für die zahlreichen Wohnsitzwechsel überzeugen nicht und sind zudem widersprüchlich. Es spricht alles dafür, dass der Beklagte missbräuchlich die Möglichkeiten des organisierten Insolvenztourismus nach Großbritannien genutzt hat, um sich durch das unkomplizierte englische Insolvenzverfahren innerhalb eines Jahres zu entschulden und sich dadurch berechtigten Gläubigerforderungen zu entziehen.
Aus den Akten und dem Vortrag der Klägerin ergibt sich, dass der Beklagte im zeitlichen Zusammenhang mit dieser Klage mehrmals seinen Wohnsitz in kürzester Zeit verlegt hat. Der Beklagte war zunächst wohnhaft in C2, L, J und C5. Ab März 2008 war der Beklagte formal nach C3/Frankreich verzogen. Das hatte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten in diesem Verfahren mit Schriftsatz vom 24.04.2008 mitgeteilt. Mit Schreiben vom 24.06.2008 hat der Beklagte persönlich mitgeteilt, dass er seinen Wohnsitz in Frankreich aufgegeben habe und nun nach Großbritannien, London, N Hs, P Av./R, verzogen sei. Unter dieser Anschrift wurde auch das englische Insolvenzverfahren zum 18.06.2008 eröffnet, wie sich aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Unstreitig ist zudem, dass in dem Arrestverfahren LG Köln, 82 O 64/08, eine Zustellung an den Beklagten unter der zuletzt angegebenen Adresse in London, N Hs, P Av./R, gescheitert ist, da der Beklagte unter der angegebenen Adresse in London nicht bekannt war.
Diese Erklärungen des Beklagten widersprechen den Angaben, die er in diesem Rechtsstreit und gegenüber der englischen Insolvenzbehörde gemacht hat. Dort hat der Beklagte in einem ersten Gespräch am 15.07.2008 anlässlich der Insolvenzeröffnung zum 18.06.2008 angegeben, dass er seit dem 01.01.2008 in London wohnhaft sei. Zum Beleg hat er dort zwei Mietverträge vorgelegt. Der erste Mietvertrag über eine Mietdauer von 01.01.2008 bis 30.06.2008 betrifft eine Wohnung unter der Anschrift London, G, W Avenue, L Docks. Der zweite Mietvertrag bezog sich auf die Anschrift London, N Hs, P Av./R. Dieser Mietvertrag datierte vom 15.04.2008 und hatte ebenfalls eine Laufzeit von sechs Monaten. Als ein Prüfer der Insolvenzverwalterin den Beklagten am 28.07.2008 unter der Anschrift London, N Hs, P Av./R, aufsuchen wollte, traf er ihn dort nicht an. Er stellte fest, dass es sich um eine kleine Wohnung mit zwei Schlafzimmern handelte. Der Beklagte teilte sich die Wohnung mit vier weiteren deutschen Staatsangehörigen, die ebenfalls in das Vereinigte Königreich umgezogen waren und dort ein Insolvenzverfahren betrieben. Am gleichen Tag teilte der Beklage der Insolvenzverwalterin per Mail mit, dass er nach O Apartments, 36 I Avenue, London E16 1 DZ, umgezogen sei. Im Februar 2009 will der Beklagte nach eigenen Angaben einen neuen Wohnsitz unter der Anschrift U, 18 V, London, E 16, 1BQ, begründet und diese Anschrift der Insolvenzverwalterin zeitnah mitgeteilt haben.
Damit ist klar, dass der Beklagte entweder seinerzeit in England oder in diesem Verfahren bewusst falsche Wohnsitze mitgeteilt hat. Denn es kann nicht sein, dass der Beklagte bereits seit dem 01.01.2008 in London wohnhaft war, aber gleichzeitig im Monatstakt die Wohnsitze in Deutschland wechselte und schließlich in Frankreich wohnhaft gewesen sein will. Ferner kommt hinzu, dass der Beklagte seinen Wohnsitz unter der Anschrift O Apartments, 36 I Avenue, London E16 1 DZ, in diesem Rechtsstreit zunächst bewusst verschwiegen hatte, um das Gericht und die Klägerin zu täuschen. Der Beklagte hat stets betont, dass er in London zunächst unter London, N Hs, P Av./R, und ab Februar 2009 unter U, 18 V, London, E 16, 1BQ, wohnhaft gewesen sei. Er könne daher auch nicht verstehen, warum ein Vollstreckungsversuch der Klägerin im Herbst 2008 unter der Anschrift London, N Hs, P Av./R, fehlgeschlagen sei. Nun hat der Beklagte eingeräumt, dass er ab dem 28.07.2008 nicht mehr unter London, N Hs, P Av./R, sondern unter O Apartments, 36 I Avenue, London E16 1 DZ, wohnhaft gewesen sei. Folglich musste der Vollstreckungsversuch fehlschlagen.
Die durch den widersprüchlichen Vortrag des Beklagten begründete Annahme, dass es sich bei den Londoner Wohnsitzen um Scheinwohnsitze handelte, wird durch weitere Indizien bestätigt. Auffällig ist bereits, dass der Beklagte innerhalb von gut einem Jahr insgesamt vier Wohnungen in London angemietet haben will, wobei sich die Mietverträge teilweise überschnitten haben. Diese häufigen Wohnsitzwechel sind mit erheblichen Aufwand und Kosten verbunden. Der Beklagte hat dafür keine vernünftige Erklärung geliefert. Im Gegenteil hat er sogar auf seine prekäre finanzielle Situation als Insolvenzschuldner und die hohen Mietpreise in London hingewiesen, um zu begründen, dass er vor dem 01.08.2008 unter der Anschrift London, N Hs, P Av./R, mit weiteren vier Personen eine kleine Mietwohnung geteilt hatte. Auffällig ist ferner, dass der Beklagte, wie aus der amtlichen Auskunft hervorgeht, bereits zwei Wochen nach seinem Besuch beim Insolvenzgericht und circa einige Monate nach der Anmietung der zweiten Londoner Wohnung wieder umgezogen sein will, und zwar nach O Apartments, 36 I Avenue, London E 16 1 DZ, obwohl der Mietvertrag für London, N Hs, P Av./R, noch über einige Monate lief. Hinzu kommt, dass der Beklagte unter der Anschrift London, N Hs, P Av./R, unter der er am 28.07.2008 nicht angetroffen wurde, in einer kleinen Wohnung mit vier weiteren Deutschen, die ebenfalls den Wohnsitz nach London verlegt hatten und dort ein Insolvenzverfahren betrieben, gewohnt haben will. Das indiziert ein "Insolvenznest", wie es die Klägerin genannt hat. Es ist lebensfern anzunehmen, dass fünf erwachsene Männer, die sich nicht näher kennen, in einer kleinen Wohnung mit zwei Schlafzimmern leben und diese Personen alle ein Insolvenzverfahren betreiben. Schließlich wurde der Beklagte nach der amtlichen Auskunft der englischen Insolvenzverwalterin nicht ein einziges Mal in einer der vier Londoner Wohnungen angetroffen. Dementsprechend konnte die englische Insolvenzverwalterin auch nicht bestätigten, dass der Beklagte während des gesamten Insolvenzverfahrens in London wohnhaft war. Die Restschuldbefreiung zum 18.06.2009 wurde "automatisch" erstellt.
Hinzu kommen weitere unstreitige Umstände, die für Londoner Scheinwohnsitze des Beklagten zwecks missbräuchlicher Entschuldung sprechen. Der Beklagte war bereits 2008 Präsident des Luftsportvereins der C AG. Er hatte folglich einen klaren Bezug nach Deutschland. Zudem war er als Sprachprüfer unter der Anschrift seines Vaters in C5 gemeldet. Nach seinen Vortrag hätte er den Wohnsitz U, 18 V, London, E 16, 1BQ, angeben müssen, da er dort noch heute wohnhaft sein will.
Gegen eine rechtsmissbräuchliche Entschuldung seitens des Beklagten in Großbritannien spricht nicht, dass er dort auch als Pilot gemeldet bzw. dort als Direktor eines Luftfahrtunternehmens tätig war. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitraum von 2008 bis 2009 entsprechende Tätigkeiten in London entfaltet und daraus Einnahmen generiert wurden. Lediglich das Unternehmen des Beklagten war in London seit 08.05.2008 zum dortigen Handelsregister angemeldet. Diese Anmeldung besagt aber nichts darüber, wo das Geschäft tatsächlich ausgeübt wird. Es ist schon lange auch für deutsche Geschäftsleute üblich, eine englische Limited anzumelden, die ausschließlich in Deutschland tätig wird. Im Gegenteil zeigt der insolvenzwidrige Betrieb des Flugunternehmens des Beklagten, dass er sich an die Vorgaben des Insolvenzverfahrens, nicht als Direktor eines Unternehmens während des Insolvenzverfahrens tätig zu sein, nicht gebunden fühlte, um sowohl die Vorteile aus dem Insolvenzverfahren als auch aus dem selbstständigen Geschäftsbetrieb für sich vereinnahmen zu können.
Dem Beweisantritt des Beklagten, die Insolvenzverwalterin zu seiner Behauptung zu vernehmen, dass er wiederholt von Frau S in der von ihm gemeldeten Londoner Wohnung unter der Anschrift U, 18 V, London, E 16, 1BQ, angetroffen worden sei, ist nicht nachzugehen. Dabei hat die Kammer zugunsten des Beklagten unterstellt, dass er im Februar 2009 seinen Wohnsitzwechsel nach U, 18 V, London, E 16, 1BQ, der Insolvenzverwalterin mitgeteilt hatte. Hinsichtlich der Zeitpunkte, wann er unter der vorgenannten Anschrift wiederholt angetroffen worden sein will, bleibt er jedoch unbestimmt. Dieser unsubstantiierte Vortrag ist nicht einlassungsfähig und würde auf einen Ausforschungsbeweis hinauslaufen. Abgesehen davon würde der unter Beweis gestellte Vortrag auch nicht die zahlreichen Widersprüche des Beklagten zu seinen Wohnsitzen, sein nomadenhaftes Verhalten seit Anfang 2008 sowie die Angaben der Insolvenzverwalterin in der amtlichen Auskunft erklären können.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob die streitige Forderung gemäß Art. 281 des englischen Insolvenzrechts von der Restschuldbefreiung ausgenommen ist.